„Niemand hat die Absicht 100 Meilen zu laufen“ So lautet das Moto des nun bereits zum 8. mal stattfindenden Mauerweglaufes in Berlin. Weit über 500 Einzelläufer und etliche Staffelläufer wollten genau dies aber tun, 100 Meilen oder auch gut 160 km laufen, einmal rund um das ehemalige West Berlin, dort wo einst die Grenze war und Deutschland teilte.
Für mich war es nun die zweite Teilnahme, zunächst 2016 im Uhrzeigersinn mit Tanya und nun drei Jahre später mit Jörg gegen den Uhrzeigersinn. Beide Richtungen haben Ihren Charme, aber mir persönlich gefällt die Uhrzeigersinn Richtung besser. Zum einen hat man dadurch die Sehenswürdigkeiten am Tag und zum anderen hat man dann die meisten der zwar wenigen, aber doch vorhandenen Höhenmeter kurz hinter Sacrow hinter sich, ein entscheidender Vorteil wenn man dann nur noch flach weiter laufen muss. Desweiteren ist es ein wenig nervig Nachts durch die „Partyzone“ Berlins zu laufen….
Aber gegen den Uhrzeigersinn hat auch Vorteile. Man ist morgens ziemlich schnell raus aus der Stadt und kann seinen Rhythmus finden, die Landschaft hier oben ist auch ansprechender als im unteren hinteren Bereich, die Wechselpunkte sind meines Erachtens so besser in Ihrer Funktion (WP 3 für die Nacht ist Top), und auch das Regierungsviertel mit der Spree ist Nachts recht hübsch anzusehen.
Start und Ziel war wie immer im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark im Stadtteil Prenzlauer Berg. Der Start um 06:00 Uhr, das hieß für mich um 04:00 Uhr aufstehen. Mein Hotel war diesmal nur ein Steinwurf vom H4 entfernt und so konnte ich auch den Transferservice zum Stadion nutzen. Das klappte, wie auch am Sonntag wieder zurück, wie am Schnürchen.
Endlich ging es los. Jörg und ich starten ganz entspannt, unser Ziel: unter 24 Stunden bleiben um ein Buckle zu ergattern. Wir laufen relativ konstant und arbeiten uns langsam aber stetig voran. Immer wieder trifft man Bekannte, wir schnacken ein wenig und weiter geht es. Wegen meiner Konfirmantenblasen wurden wir immer wieder von bereits überholten überholt 🙂 Wir überholen und werden überholt, so ist das im Leben. Wir laufen nach Norden bis zum VP 4 am Naturschutzturm dann geht es südlich in Richtung VP 6 zum Ruderclub Oberhavel. Vorher bestaunen wir noch die Architektur der Invalidensiedlung in Frohnau. Der Ruderclub ist der erste Wechselpunkt, hier kann man Dinge deponieren die man vielleicht braucht. Wir brauchen nichts, verpflegen uns nur kurz und laufen weiter. Wir sind gut in der Zeit, haben unser Tempo gefunden und fräsen uns durch die Landschaft. Bei KM 55 halten wir kurz inne, hier ist die Gedenkstätte von Dieter Wohlfahrt (1941-1961). Jedes Jahr wird der Lauf einen anderen Maueropfer gewidmet. Die Geschichte zu Dieter Wohlfahrt liest sich wie folgt:
Nach einem verwehrten Oberschulbesuch in der DDR lernt Dieter in West-Berlin und pendelt zwischen den Sektoren. Nach der Grenzschließung bleibt er in West-Berlin und schließt sich noch während seines Chemiestudiums an der TU-Berlin der studentischen Fluchthilfegruppe um Dieter Thieme und Bodo Köhler an. Er hilft ehemaligen Mitschülern, Verwandten und Bekannten bei der Flucht aus der DDR in den ersten Wochen durch Abwasserkanäle. Sein österreichischer Pass hilft ihm zwischen den Grenzen zu pendeln. Als „Deckelmann“ reist er nach Ost-Berlin und öffnet unauffällig die Deckel der Kanalisation für die Flüchtenden.
Am 09.12.1961 fährt er mit Elke C., Karl-Heinz Albert und einem weiteren Freund nach Staaken, um der Mutter von Elke C. die Flucht zu ermöglichen. Dieter Wohlfahrt schneidet mit einem Bolzenschneider den Grenzzaun auf, als von der östlichen Seite Frau C. auf sie zukommt und nach ihrer Tochter ruft. Kurz darauf wird von den DDR-Grenzposten auch schon geschossen. Karl-Heinz Albert gelingt es wieder in den Westen zu kommen. Dieter Wohlfahrt bricht zusammen und bleibt an der Grenze regungslos liegen. Rettungsversuche der West-Berliner Polizei und britischer Militärpolizei werden von den DDR-Grenzposten mit Waffengewalt unterbunden. Von östlicher Seite bekommt er keine Hilfe. Über eine Stunde bleibt er regungslos an der Grenze liegen, ohne noch einmal ein Lebenszeichen von sich zu geben. Dann wird er abtransportiert.
Auszug aus https://www.100meilen.de/maueropfer/
Wir erreichen Schloss Sacrow bei KM 70 nach etwa 9 Stunden. Jörg und ich sind schon ein wenig angezählt, wir gönnen uns eine etwas länger Pause von vielleicht 15 Minuten bevor es wieder weiter geht. Wir „hangeln“ uns von Vp zu VP, Trinken, Essen, weiter. Dann endlich VP 17 am Sportplatz Teltow bei KM 102. Bis hier war unsere Zielzeit noch im Bereich von 22 Stunden. Jörg hatte Probleme mit den Füßen. Er hatte sich 4 Blasen gelaufen die er erst einmal versorgen musste. Auch ich wechselte die Wrightsocks und machte mich fertig für die Nacht (es war bereits um die 20 Uhr, also 14 Stunden Laufzeit). Nachdem wir uns ausgiebig verpflegt und verarztet hatten gingen wir es wieder an. Wir haben eine gute Stunde im VP verbracht, das hat sich so nicht angefühlt aber es war so. Unser persönliches Zeitlimit von unter 24 Stunden geriet ein wenig in Gefahr. Wir hatten zwar noch über 9 Stunden Zeit für 60 km, aber man wird ja nicht mehr unbedingt schneller …
Die kommenden Stunden lassen sich ganz einfach beschreiben: zäh. Wir wurden eigentlich gar nicht langsamer, im Gegenteil, teilweise waren wir recht zügig unterwegs, die VPs wurden nur noch kurz besucht damit wir vor 06:00 ankommen. Jörg machten die Blasen zu schaffen, ließ es sich aber nicht anmerken.
Dann endlich die letzten 5 km. Selten, eigentlich noch nie hab ich Jörg so schimpfen gehört 🙂 Da wir an roten Ampeln immer stehen bleiben müssen, auch Nachts wenn da eigentlich keine Sau lang fährt wurden wir wieder langsamer und unser U24 Projekt geriet in Gefahr (natürlich auch weil wir immer wieder gehen mussten). Aber so ist das nun einmal. Regeln sind Regeln.
Nach 23 Stunden und 47 Minuten erreichten wir dann endlich das Stadion. Wir waren überglücklich. Was für ein Tag und was für eine Nacht. Genau das ist es was es für mich ausmacht. Diese extrem langen Stunden wo man so vieles erlebt und fühlt. Eindrücke an die man sich noch Jahre später erinnert. Einfach LEBEN, genau das was vielen an der Grenze mit Gewalt genommen wurde.
Sicherlich gibt es Landschaftlich reizvollere Gegenden und spektakulärere Aussichten bei anderen Läufen, aber das was den Mauerweglauf ausmacht ist das LEBEN. Keine Ahnung wie es anderen geht, natürlich ist man sich der Mauer und der Geschichte bewusst wenn man dort läuft, aber ganz ehrlich: meistens denke ich nur ans laufen und wie komme ich durch. Aber später, jetzt, oder auch noch in ein paar Wochen oder Monaten da kommt es immer wieder und man denkt an die Mauer als solche und an das Leid welches durch sie entstanden ist.
Wir sollten nie vergessen wie gut wir es haben das wir in Freiheit leben !
Zum Schluss noch ein Dankeschön an die über 400 Helfer die uns so toll durch die Zeit gebracht haben, ohne Euch kein Lauf. Es ist immer wieder faszinierend wie reibungslos das alles bei Euch klappt.