Conquer the Rock

Es ist Sonntag, 05:30 Uhr in der Früh. Ich kauere mich in die Ecke eines Hochsitzes auf 523 m bei km 130. Ich bin seit ziemlich genau 24 Stunden wach und gönne mir ein kurzes Nickerchen, meine Art dem Harz „Tschüss“ zu sagen. Ich gestalte es mir mit Absicht nicht zu gemütlich damit ich nicht zu lange Schlafe. Der Plan geht auf. Nach 5 Minuten wach ich wieder auf und fühle mich als hätte ich wesentlich länger geschlafen. „Powernapping“ nennt man das. In meiner kurzen Ruhephase träume ich sogar ein wenig, der Tag läuft vor meinen inneren Auge ab wie ein Film.

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Am Samstag sind Jens Wackerhagen und ich um 07:50 Uhr mit dem Schuß aus einen Luftgewehr (das wollte mein jüngster unbedingt machen) gestartet. Eigentlich hätte wesentlich mehr am Start stehen sollen aber es hat nicht sollen sein.

An der Ohe vorbei führte uns unser Weg über Evensen nach Lamspringe. Die Wettervorhersage versprach angenehme Lauftemperaturen, und so war es auch. Ab und zu schaut die Sonne mal vorbei, es war wolkig, aber trocken. Das sollte sich aber noch ändern.

Hinter Lamspringe betraten wir den Heber, ein etwa 9 km langes Waldstück das bei Bilderlahe endet. Während wir so unsere Bahn zogen glaubten wir plötzlich das schon die ersten Halu´s einsetzen. Eine kleine „Herde“ Mufflons kreuzte plötzlich unseren Weg, einfach so, ohne Anmeldung.

Nach etwa 3 Stunden erreichten wir Seesen. Jens nutzte die Gunst der Stunde und holte sich eine kalte Coke aus der Tanke. Wir liefen durch das noch nicht ganz erwachte Seesen, ernteten ein paar seltsame Blicke und schwupps hatte uns der Seesener Wald beim Lauseberg schon wieder verschluckt. Nun fingen wir an die ersten richtigen Höhenmeter zu sammeln. Unsere erste VP befand sich in Lautenthal bei km 42, also der magischen Marathondistanz. Wir waren bis dahin ca. 05 Stunden 30 Minuten unterwegs. Betreut wurde dieser VP von meiner Tante Waltraud und Ihren Sohn Florian. Sie empfingen uns herzlich und wir füllten unsere Flaschen auf, verpflegten uns. Jens nutzte die Gelegenheit um sich frische Socken anzuziehen, gute Idee, hätte ich wohl auch machen sollen. Ab Lautenthal hatte ich nun auch meine Stöcke die ich, bzw. wir auch gleich nach wenigen Metern nutzen mußten um auf dem rutschigen Grasweg der uns hoch zum Schulberg führte nicht auszurutschen. Dieser erste RICHTIGE Anstieg hat es wirklich in sich, vor allen wenn man bereits ein paar Schritte gemacht hat.

Eine Mitteilung von Kerstin erreichte mich. Sie waren mit Freunden in Hahnenklee um uns zu empfangen. Sie teilte mir außerdem mit das dort gerade ein Marathon stattfindet, wie passend. Für die Distanz von Lautenthal bis Hahnenklee (grob 6 km) brauchten wir etwa 50 Minuten. Gleich am Ortseingang standen Kerstin und Familie Löschmann und begrüßten uns mit einen Plakat. Leider hab ich kein Foto davon gemacht, aber das war wirklich schön, vielen Dank.

Wir liefen einmal durch die „City“ von Hahnenklee, vorbei am Start/Ziel des Marathon aber nicht durch, kassierten einige ungläubige Blicke und „schossen“ hoch zum Bocksberg wo gerade so eine Art Kirmes statt fand. Wir kreuzten die B241 am „Auerhahn“ und über „Schalke“ ging es weiter in Richtung Okertalsperre. Nun setzte der erste Regen ein der uns auch einige Kilometer erhalten blieb, mal mehr, mal weniger. Einige cm vor der Talsperre empfingen uns Hansi und Matthias im strömenden Regen. Hansi war tagsüber unser „Notmann“, falls mal was schief geht oder was gebraucht werden sollte hätten wir Ihn angerufen. Matze und Hansi hatten spontan eine weitere VP eingerichtet. Toll wenn man solche Freunde hat.

Jetzt wo ich das hier so tippe wird mir das noch einmal richtig bewusst. Wir verpflegten uns kurz, leider bei nicht nachlassenden Regen und starteten wieder um über Ahrendsberg und jede Menge weiterer Berge und Täler endlich mal am Torfhaus anzukommen. Dies taten wir dann in etwa nach 10 Stunden falls mich meine Erinnerung nicht trübt, also gegen 18 Uhr. Am Torfhaus war die VP von Matthias. Matze hatte für den Lauf so ein wenig die Oberaufsicht übernommen und das war genau richtig. Er schaute immer wer, was wo braucht und kümmerte sich ständig, wie die anderen natürlich auch, keine Frage. Außerdem waren auch bereits Karsten und Nicole am Torfhaus, viele Stunden vor Ihren eigentlichen Einsatz am Innerstestausee zugegen. Das war sowieso auch so eine Sache die ich toll fand: Jeder war nicht nur für seine Station da sondern fühlte sich auch zuständig für andere Dinge. Ich kann mein Dank nur immer wiederholen.

Am Torfhaus steckten wir zur Vorsicht schon unsere Stirnlampen ein, wer weiß wie schnell es dunkel wird. Matze lies es sich nicht nehmen und begleitete uns von Torfhaus zum Brocken und zurück. Er machte viele schöne Foto´s und wir waren froh über ein wenig Abwechslung. Matthias, mit seiner erfrischenden Art witzelte uns praktisch hoch auf den Berg der Berge. Und dann war es soweit: Conquer the Rock wurde Wirklichkeit, wir hatten den Berg bezwungen mit über 80 km Anlauf. Wir machten unsere obligatorischen Aufnahmen und freuten uns über das geleistete. Aber „Conquer the Rock“ endet nicht mit dem erreichen des Gipfels. Man bezwingt einen Berg nur wenn man es auch wieder herunter schafft. In unseren Fall hieß das zurück auf Anfang !!! Also wieder runter nach Torfhaus, bergab, kann man ja rollen lassen, zumindest in der Theorie.

Am Torfhaus, welches wir im dunkeln um etwa 20 Uhr erreichten verpflegten wir uns wieder und machten uns fertig für die Nacht. Lange Hose, lange dickere Shirts und vor allen Handschuhe. Die Nacht sollte Sterneklar und trocken werden/bleiben. Ideal. Am VP hatte Matthias Brühe für uns gemacht. Ich nenne sie jetzt mal die „Schicksalsbrühe“.

Über die Bastesiedlung, vorbei am Diabasbruch nahmen wir Kurs auf Romkerhall. Zwei Kilometer vorher, am Beginn des Jägerstieges hatte Jens massive Magenprobleme. Anscheinend war die Suppe doch nicht glutenfrei und er mußte sich die edle Mahlzeit mehrmals durch den Kopf gehen lassen. Für den Abstieg nach Romkerhall brauchten wir dadurch eine gefühlte Ewigkeit. Mir war klar das für Jens den Abbruch des Laufes besiegelt war. Mir war aber auch sofort klar, daran zweifelte ich nicht eine Sekunde, das ich allein weiter laufen würde. Schon allein um das Engagement meiner Freunde zu würdigen aber natürlich auch um den Berg richtig zu bezwingen, halt bis zum Ende. Wir, das heißt, Jens erreichte Romkerhall mit Müh und Not und er wurde sofort von Jörg und Matthias versorgt. Sie wickelten Ihn in Decken da sein Kreislauf durch das Erbrechen zusammengebrochen war. Matze verfrachtete Jens ins Auto und brachte Ihn nach Hause. 50% der Teilnehmer scheiden also aus, wie bitter. Ich genoss noch ein wenig den VP Service von Jörg und seinen Sohn. Sie hatten extra eine Strandmuschel aufgestellt und alles schön dekoriert. Leider ging das durch die Sorgen um Jens ein wenig unter. Ich trank ein, zwei Becher Pfefferminztee (den ich sonst NIE trinken würde) und ritt frohen Mutes in die weitere Nacht. Das muss so gen 24 Uhr gewesen sein, denke ich.

Entlang der steinigen Oker lief ich bis Waldhaus. Dort mußte ich aus meine linken Schuh die Sohle entfernen. Sie hatte sich zum wiederholten Male gewellt und war dabei meine Füße zu ruinieren (es tut noch heute weh). Überhaupt war das mein einzigstes Problem beim Lauf, die nassen Füße. Ich hab zwar auch mehrmals trockene Socken angezogen, aber sofort war da wieder ein nasser Grasweg und Zack waren sie wieder feucht. Nun lief ich also mit einer Sohle weniger.

Der nächste VP sollte erst wieder am Innerstestausee sein, gedanklich war ich darauf eingestellt. Plötzlich, am Ortsrand von Goslar, winkt mir eine Lampe entgegen. Christoph, mein Freund aus Hannover, mit dem ich schon einige auch im wahrsten Sinne Coole Läufe gemacht habe stand dort und begrüßte mich. Eigentlich hatte ich mit Ihn erst in Hahausen gerechnet, also noch 1000 Stunden entfernt. Aber nein, er nahm mich in den Arm und wir liefen gemeinsam zu einen weiteren spontane VP. Nicole, Karsten und Christoph hatten ihn aufgebaut und ich kann gar nicht sagen wie froh ich darüber war, fast hätte ich gerufen: „Ich liebe Euch“. Bis zum Stausee war es doch noch ein ganzes Stück ….

Der eigentliche Track verlief in Goslar an einer 24 Stunden Tankstelle vorbei damit man sich noch einmal verpflegen kann. Da ich der Racedirektor war/bin hab ich mir den unnützen Kilometer geschenkt und bin nur ein Stückchen durch Goslar gelaufen um auf den

Steinberg zu kommen. Mein lieber Schwan, das war nochmal ein richtiger Hammer da hoch. In meinen müden Kopf hab ich gedacht wenn ich vom Steinberg runter laufe kommt schon der nächste VP. Ich sinnierte noch darüber nach wo wohl die Granetalsperre sei, als mir plötzlich bewußt wurde das ERST die Granetalsperre und DANN der Innerstestausee kommt, und Wolfshagen mußte ich auch noch queren. Och nö, das demotiviert dann schon ein wenig. Aber irgendwann erreichte ich auch diesen VP und auch hier war außer Nicole und Karsten auch Christoph anwesend. Von Nicole gab es Schnittchen (zuvor in Goslar auch) und Christoph zauberte mir auf einen Gasofen eine Nudelpfanne mit Schmalzfett. IST DAS GEIL !!! Ich mein, wo gibt es schon solche VP´s ?

Es wurde langsam aber sicher richtig frisch und ich kramte meine Daunenjacke aus meinen Dropbag. Wie hätte dieses Szenario auf einer Fremden gewirkt. Da sitzt ein Typ in einer Daunenjacke mit Stirnlampe auf einen Campingstuhl am Stausee und läßt sich bekochen ? Ich kann es nur erahnen.

Aber es mußte weiter gehen. Einen richtigen Berg hatte ich noch vor mir bevor ich Hahausen erreichen konnte, den eigentlichen VP von Christoph.

Ich war nun richtig müde und der Aufstieg auf 495 m Höhe zerrte an meinen Zustand. Die Füße taten bereits richtig weh, der linke mehr. Ich hielt Ausschau nach einer Schutzhütte um mich mal auszuruhen ….

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Ich klettere vom Hochsitz herunter und setze mein kleines Abenteuer fort. So ein kurzes Nickerchen vollbringt echt wunder. Auch laufen, zumindest Bergab funktioniert fast einwandfrei. Suppi. Ein Problem technischer Art hatte ich mit meinen Oregon Navi. Plötzlich waren die Batterien leer und die Ersatzbatterien anscheinend auch. Zum Glück hatte ich den Track noch auf der Fenix und so konnte ich den Rest damit bestreiten.

Ich landete sicher in Neuekrug, wo Christoph bereits eine Kaffee für mich gekocht hatte und mich auch sonst umsorgte. Die Ureinwohner des kleinen Örtchen an der B248 waren schon wach und wollten eine 3 Tagesfahrt an die Mosel machen und dann sitzt da so ein Kerl auf einem Campingstuhl, Kaffeetasse und Stirnlampe am Mann… da muß man doch mal fragen was der für Probleme hat 🙂 Christoph klärte die „ungläubigen“ Bewohner auf und diese quitierten mir respekt. Im stillen dachten Sie bestimmt: „Was war das für ein Honk !?“

Irgendwie mußte ich aber wieder weiter, mit schmerzenden Füßen machte ich mich auf den Weg. Christoph bot sich an in Rhüden auf mich zu warten, zum gemeinsamen Frühstück.

Im Waldstück oberhalb von Hahausen lernte ich den „Großen Eichsberg“ kennen und fürchten. Der Track verlief über diesen, geplannt von mir. Meine Fenix zeigt mir auch an das ich da bin wo ich bin, aber ich war nie dort wo ich war…. verständlich ? Nun, ich hab eine Schleife im Wald gedreht, durch knöcheltiefen Matsch, ich verfluchte denjenigen der diesen Track gezeichnet hat und plötzlich wäre ich fast wieder runter nach Hahausen gelaufen. Eine gute halbe Stunde verloren, eher 45 Minuten. Solche Dinge brauch kein Mensch. Ich war froh als ich endlich am Waldrand stand und die A7 sowie den McDonald von Rhüden sah.

Christoph kam mir ein Stück entgegen und ein Wimperschlag später saßen wir im inneren der Fastfoodkette und tranken einen Kaffee und aßen irgend so ein McBaccon Muffin Dingsda, Eigentlich wollte ich Cheeseburger, mindestens 20 Stück und ein halbes Kilo Pommes, gab es aber nicht, erst ab 11 ! So ein Shit.

Ich verabschiedet mich von Christoph, ein letztes Selfie von uns beiden und ich stockelte über Wohlenhausen nach Hause. Im Waldstück vor Wohlenhausen verlief ich mich noch ein wenig, schmückte meine Schuhe wieder mit Matsch und reinigte diese am Ortseingang wieder im nassen Gras das auch gleichzeitig meine Füße wieder nasser werden lies, trotz wasserdichter Socken die ich mittlerweile an hatte.

Ab Rhüden wurde aus meine laufen immer mehr ein gehen. 400 meter laufen, 600 gehen, so in etwa. Dementsprechen langsam kam ich voran und brachte damit meine Freunde durch einander die Zuhause meine Empfang planten, aber davon ahnte ich ja nix. Mein Handy hatte ich ausgeschaltet um die letzten 5% der Akkuleistung zu sichern falls ich Hilfe brauche. Eine Liveverfolgung, wie sie sonst fast die ganze Zeit möglich war (bis auf den Brockenaufstieg, da lag es zum laden in Matzes Auto) gab es damit nicht. Oberhalb von Rhüden schickte ich noch eine letzte WhatsApp an meine liebe Frau, dann war Sendeschluss.

Ich erwanderte mir die Harplage, versuchte immer mal wieder kleine Teilstücke zu laufen hatte damit aber nur mäßigen Erfolg. In Goß Ilde angekommen entschied ich mich, als RD darf man das, für die etwas kürzere, vor allen leichter zu „laufende“ Version über Klein Ilde und Bodenburg. Am Waldrand der Ohe, auf dem letzten Kilometer, traf mich noch einmal eine richtige Wolkenhusche. Aber das war jetzt auch egal.

Nach 28 Stunden und 22 Minuten mit 4320 Höhenmetern in den Beinen klingelte ich an unserer Haustür. Tim machte mir auf und sagt mir das Mama mich sucht mit irgendwelche Leuten, wer genau kann er mir nicht sagen. Ich dusche erst einmal und Tim versucht Kerstin anzurufen um bescheid zu geben das ich da bin.

Matthias, Hansi und Jens (mittlerweile ging es Ihm wieder gut) wollten meinen Zieleinlauf feiern, wunderten sich das ich noch nicht da bin (22 km, da brauch der doch keine 3,5 Stunden) und wollten mir nun entgegen kommen. Nur wußten die ja nicht das ich, Herr der Strecke, einfach mal diese geändert habe und so suchten Sie an der falschen Stelle, was wiederum dazu führte das Frau sich sorgen machte. Am Ende war aber alles gut und wir lachten bei einen Kaffee über das geschehende.

Ich war ehrlich zutiefst gerührt das Ihr gekommen seit, damit hatte ich keine Sekunde lang gerechnet. Hatte doch Matthias auch nur eine kurze Nacht gehabt, Hansi ein Geburtstagskind zu Hause und Jens war angeschlagen.

Ihr seit wirklich die besten Freunde die man sich wünschen kann. Allen Helfern: Jörg (mit Sohn), Karsten und Nicole, Waltraud und Florian, Hansi, Christoph und Matthias gebührt mein größter Dank für das geleistete. Ihr habt Jens und mich so toll umsorgt und später, wie ich dann alleine unterwegs war, habt ihr mich durch die Nacht gebracht. Keine Ahnung wie das sonst gewesen wäre.

Ein großer Dank geht auch an die Sponsoren des Laufes. Ich hatte fest damit gerechnet das der Lauf von der Teilnehmeranzahl her einschlagen wird wie eine Bombe. Zunächst waren wir dann ja auch fast zwei Handvoll, aber es hat nicht sollen sein. Ich hoffe ich konnte Euch trotzdem gerecht werden.

Der Lauf wurde unterstützt von:

Danke !!!

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Eine Antwort zu Conquer the Rock

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